Das Wahrscheinliche wartet immer auf das Unwahrscheinliche

"Rhythm of Statistics" des Köner Künstlers R.J.Kirsch im Bellevuesaal Wiesbaden | 2010

Kunstverein Wiesbaden, BELLEVUESAAL, 2010
Installation Rhythm of Statistics
2002-2013, Oil on Wood, each 90 x 25 x 35 cm

Rhythmus der Statistik

Über die gesamte Längswand des ehemaligen Speisesaals des Hotels Bellevue in der Wiesbadener Wilhelmstraße hängt eine geradlinige Serie kleinformatiger Bilder. Wirken die Motive auf den ersten Blick wie Fotografien, entpuppen sie sich aber bei genauerem Hinsehen als Gemälde. Rolf Kirsch inszeniert gekonnt und in einem zügigen Strich Fahrzeugunfälle: Flugzeuge, Schiffe, Eisenbahnwaggons, Autos.

Rolf Kirschs Interesse gilt seit Beginn seiner künstlerischen Auseinandersetzung Fragen der technischen Entwicklung. Aus der Perspektive der Malerei erwies sich dies als eine Klärung neuer Bildtechniken. Neben der Fotografie, die die Malerei seit Beginn des 20. Jahrhunderts völlig neu definiert hat, waren es vor allem die elektronischen Bildmedien, durch deren wachsende Präsenz der Maler sein bildnerisches Werk in Frage gestellt sah. Die Auseinandersetzung mit den materiellen Zusammenhängen der technischen Bildmedien führte zur Diskussion über das Verhältnis der Medien zueinander, aber auch zur Thematisierung der Grenzen und Möglichkeiten des technischen Fortschritts im Allgemeinen.



SOFT IMPACT
170 x 130 cm, Oil on canvas, 2014

Vor diesem Hintergrund ist die Gemäldeserie von Verkehrsunfällen (es handelt sich ausschließlich um Verkehrsunfälle) eine konsequente Fortsetzung seiner Studien auf diesem Gebiet. Als Absolvent der Klasse von Prof. Franz Dank an der Kölner Kunstschule leitet er seinen Ansatz aus dem Konzept der Stilllebenmalerei ab. Wie in einer Studie über Faltungen untersucht Kirsch die Verformungswülste und Brechungen. Das meist tageslichtähnliche Licht schafft im Gegensatz zum Geschehen eine grundsätzlich heitere Atmosphäre. Die künstlerische Umsetzung unterstützt so die Zeitlosigkeit des Stillstands, auch durch die völlige Abwesenheit von Betroffenen oder Rettern.
Und doch scheinen die Ereignisse in einem Zeitkontinuum angesiedelt zu sein. Die Ereignishaftigkeit findet ihren Ausdruck in Titeln, die in kurzen Protokollformulierungen den Unfallhergang wiedergeben. Auf einer Zeitachse gereihte Stillstände, diskrete Zeitpunkte, die die Illusion einer homogenen Zeit aufheben.

Die Beschäftigung mit dem Unterwegssein, der Mobilität, dem Einsatz von Fahrzeugen zur Erschließung der Welt wird so zum Hauptmotiv in Kirschs Werk. Unfälle spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, sie symbolisieren die Grenzen und Zerbrechlichkeit unserer Existenz, die Grenzen, aber auch der technischen Machbarkeit. In der zunehmenden Geschwindigkeit, mit der die allgemeine Mobilisierung aller Lebensbereiche voranschreitet, begründet sich eine "Ästhetik des Verschwindens", die Prozesse zunehmend in die Unsichtbarkeit verlagert. Durch die Inszenierung der Monumente technischen Versagens fangen Kirschs Bilder die flüchtigen, außer Kontrolle geratenen Objekte ein. In der Verformung durch die gegen die Fahrzeuge selbst gerichtete kinetische Energie werden die Kräfte sichtbar, deren Beherrschung längst zu einem riskanten Spiel geworden ist.


Rhythm of Statistics
Oil on wood, 25 x 35 cm, 2013


Kollisionen

Während die Gemälde aus der Serie "Rhythmus der Statistik" eine szenische Ansicht der Unfallszenarien präsentierten, der Fokus nun immer näher an das Objekt rückt, zeigen die neueren Bilder die Verformungen und Faltungen aus nächster Nähe: Häute von Fahrzeugen, Fahrzeugen, technischen Geräten, die in der Verformung zum Ausdruck der kinetischen Energie geworden sind. Bereits in der Serie "Kollisionen" (2008-2009) beginnt Kirsch, einzelne Komponenten solcher beschädigten Fahrzeuge auf ihre bildliche Verwertbarkeit zu untersuchen. In der weiteren Entwicklung wird dieses Thema auf die für die Malerei relevanten Aspekte reduziert, in großformatigen Bildern abstrahiert vom konkreten Anlass.


Abstracts

Über die selbsterklärende Absicht hinaus, sich mit dem Verhältnis von Malerei und technischen Bildmedien auseinanderzusetzen, bieten die ABSTRACTS eine weitere Lesart seines malerischen Ansatzes, da sie sich als Analogien zur klassischen Draperie, als Kommentare im historischen Kontext verstehen. Kirsch verwendet Techniken der Altmeistermalerei, die er an seine aktuellen Bedürfnisse anpasst.

blau.
 

LEERLAUF
2. September bis 26. September 2010

Bellevuesaal Wiesbaden
Max Scholz, Köln | R. J. Kirsch , Köln
Malerei, Installation
Ausstellungseröffnung: Donnerstag, 2. September, 19.00 Uhr
Einführung: Ulrich Meyer-Husmann


Tryptychon, Raumsechs Düsseldorf, 2016

Soft Impact, Installation, RAUMSECHS Düsseldorf

Soft Impact
Oil on canvas, 130x170cm, 2017